Die «Lugano-Falle» steht für eine ganz besondere Form der Selbstüberschätzung. Die Feldspieler sind so gut und teuer, dass das Management zum Schluss kommt: Ein guter Goalie genügt.
Gute Goalies gibt es viele. Aber nur die Grossen werden Meister und diese Grossmeister ihres Faches sind rar. Wenn Lukas Flüeler am Ende der Saison seine Schlittschuhe an den Nagel hängt, haben wir – sofern nicht ein anderes Team als Zug oder Gottéron Meister wird – gerade noch zwei Schweizer, die meisterlich sind. Leonardo Genoni und Reto Berra. Alle anderen haben bei keinem Meisterteam eine wichtige Rolle gespielt.
«Liebe ZSC-Familie,
— ZSC Lions (@zsclions) November 6, 2021
es ist noch nicht der richtige Zeitpunkt für Dankesworte und Rückblicke. Dennoch möchte ich Euch hiermit mitteilen, dass dies meine letzte Saison im Dress der ZSC Lions sein wird...»
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Ein Grund, warum Lugano seit 2006 nie mehr eine Meisterschaft gewonnen hat, waren die Torhüter. Erst mit Elvis Merzlikins reichte es wenigstens wieder für zwei Finals (2016, 2018). Der Lette mit Schweizer Lizenz ist inzwischen Dollar-Millionär in der NHL. Das mag zeigen, wie gut er ist.
Aber Lugano ist nach dem Wegzug von Meistergoalie Ronnie Rüeger weder mit Michael Flückiger, Simon Züger, David Aebischer, Daniel Manzato, Niklas Schlegel noch Sandro Zurkirchen glücklich geworden. Und es gehört zu den Mysterien unseres Hockeys, warum Lugano nie versucht hat – oder besser: warum es Lugano nicht geschafft hat – Leonardo Genoni zu verpflichten.
Vielleicht liegt die Erklärung in der Vergangenheit: Das «Grande Lugano» – mit den Titeln von 1986, 1987, 1988 und 1990 im Tessin immer noch das Mass aller Dinge – wurde nicht geprägt von grossen Goalies. Sondern von einem grossen Trainer (John Slettvoll), seiner Taktik und dominanten Feldspielern (wie Mats Waltin, Kent Johansson, Jörg Eberle, Andy Ton, Sandro Bertaggia oder Kari Eloranta). Bis heute ist Lugano das einzige Meisterteam seit Einführung der Playoffs ohne grossen letzten Mann. Ein Kuriosum unserer Hockey-Historie.
Die ZSC Lions ab nächster Saison wie das «Grande Lugano»? Nein, die Geschichte wird sich mit ziemlicher Sicherheit nicht wiederholen. Lukas Flüeler geniesst – auch das ein Kuriosum der Geschichte – nicht das Prestige von Leonardo Genoni. Dabei hat er den Zürchern drei Titel beschert. 2012, 2014 und 2018. Ja, 2012 hat er im 7. Finalspiel in Bern (2:1) dem SCB ebenso den Titel «gestohlen» wie 2018 in Lugano (2:0) dem HC Lugano. So wie in diesen zwei Partien musste Leonardo Genoni in Bern nie und in Zug noch nie hexen. Wahrlich, Lukas Flüeler kann nicht mit einem Schweizer ersetzt werden.
Die ZSC Lions sind auf für nächste Saison auf allen «Feld-Positionen» (Verteidiger, Flügel, Center) überdurchschnittlich gut besetzt. So wie damals das «Grande Lugano». Wenn keiner mit einem laufenden Vertrag in die NHL wechselt, dann kann sich Sportchef Sven Leuenberger mit ein paar Ergänzungs-Transfers begnügen und die Zeit in die Rekrutierung von gutem ausländischem Personal investieren.
Aber eben: Lukas Flüeler kann nicht mit einem Schweizer Goalie ersetzt werden. Die Frage lautet deshalb auch: Ist Torhüter Ludovic Waeber der nächste Lukas Flüeler? Lukas Flüeler ist 2012 im Alter von 24 Jahren ein meisterlicher Held geworden. Ludovic Waeber ist 25. Der Moment der Wahrheit ist für ihn nahe.
Der grosse Simon Schenk, der Baumeister der ZSC Lions, hat schon im Frühjahr 1998 erkannt, dass nur ein grosser Torhüter die ZSC Lions gross machen kann. Er nimmt Finnlands Nationaltorhüter Ari Sulander bereits im Februar 1998 unter Vertrag – und dem schweigsamen Finnen verdanken die Zürcher unvergessliche, vielleicht so nie wiederkehrende Jahre des Ruhmes: die Titel von 2000, 2001 und 2008, die Triumphe in der Champions Hockey League und im Victorias Cup (2009) mit dem Sieg über die Chicago Black Hawks.
Die Mannschaft der ZSC Lions wird beim Einzug in den neuen Hockeytempel im nächsten Sommer im Feld (Verteidiger, Stürmer) bei weitem gut genug besetzt sein, um Meister zu werden. Aber wenn Ludovic Waeber im Frühjahr 2022 kein Meistergoalie wird, brauchen die Zürcher den nächsten Ari Sulander. Das bedeutet: einen ausländischen Torhüter. Einen Schweden, Tschechen oder Finne, der gut genug ist, um die Nummer 1 in einem WM-Team zu sein. Oder einen Nordamerikaner, der schon mal in der NHL die Nummer 1 war. Sonst tappt Sven Leuenberger in die «Lugano-Falle».
Am traurigsten finde ich, dass wir keinen Zürcher Goalie mehr haben.
Wehe Mayer kommt!